Fachtagung Technik im Gesundheitswesen 2022: Lösungen mit Wumms

„Erneuerbare Energie (EE) ist der Energieträger der Zukunft. Gehen Sie morgen los und bestellen Sie Ihre PV-Anlage.“ „Wir müssen die Hoheit über unsere Anlagen- und Gerätedaten zurückerobern.“ „Überlegen Sie sich im Vorfeld, wie sich Gebäudeautomation verhalten soll,“…

Unter dem Motto „Nachhaltiger Fortschritt – weil Gesundheit die beste Technik braucht" – bot die diesjährige Fachtagung Technik im Gesundheitswesen flankiert von der 5. Fachmesse Krankenhaustechnologie in Gelsenkirchen jede Menge ebenso pragmatische wie konkrete Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze, die Gesundheitseinrichtungen sinnvoll voranbringen. Da war echter Wumms drin.

Technik spartenübergreifend gestalten

Klimaneutralität besser heute als morgen, eine bisher ungekannte Versorgungsunsicherheit, immer neue, zunehmend komplexe Gesetze und Verordnungen, die überfällige Digitalisierung und Automatisierung, … - auf der Gesundheitstechnik lastet ein enormer Innovationsdruck. Kollektives Wehklagen werde in dieser Situation nicht weiterhelfen. Anstelle von Wutausbrüchen brauche die Gesundheitstechnik mehr Mutausbrüche. „Spartenübergreifendes kreatives Denken out of the Box und eine gesunde Portion Macher-Mentalität sind neben breitgefächerter technischer Expertise Skills, die die deutsche Kliniklandschaft mehr denn je benötigt“, erklärten Dubravka Maljevic, Horst Träger und Cord Brüning bei der aufrüttelnden Eröffnung ihres diesjährigen Branchentreffens. In ihrer Funktion als Präsidentin beziehungsweise Präsidenten des Fachverbandes Biomedizinische Technik (fbmt), der Fachvereinigung Krankenhaustechnik (FKT) und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Krankenhaustechnik (WGKT) tritt das Dreigestirn hinter dem Kongress an, Kompetenzen, Interessen und auch Fortbildung zu bündeln. Sie werden der Technik im Gesundheitswesen eine gemeinsame und damit gewichtigere Stimme verleihen und zeigen eine neue Einigkeit, die im Sinne optimaler Ergebnisse auch im Krankenhaus geboten wäre.

Der Daten HerrIn werden

Dieser technische Schulterschluss werde unter anderem erforderlich sein, um die Hoheit über die sehr wertvollen Daten zurückzuerobern, die Geräte und Anlagen heute in großem Stil generieren, die den Betreibern bisher in aller Regel aber nicht zugänglich sind. Unter anderem sollte dieses digitale „Gold“ dazu genutzt werden, Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen zu optimieren. Maschinenstillstandszeiten könnten mit mehr Wissen um bestmögliche Wartungszeitpunkte (so spät, wie möglich, aber rechtzeitig, bevor die Anlage ausfällt) um 20 Prozent und Wartungskosten um bis zu 17 Prozent reduziert werden, wie Dubravka Maljevic in ihrem Vortrag zum Thema „Predictive Maintenance“ ausführte. „Wenn Hersteller erklären, dass heute bereits 80 Prozent aller Fehler aus der Ferne behoben werden können, dann sollten auch wir (Medizin-)Techniker in die Lage versetzt werden, entsprechend zu agieren“, forderte die engagierte Leiterin des Bereichs Medizintechnik bei den BG Kliniken. „Dazu müssen wir in einen konstruktiven Dialog mit den Herstellern treten“. Das Berufsbild des (Medizin-)Technikmanagers werde sich in diesem Zuge wandeln. „Wenn wir unserer Daten HerrInnen werden wollen, müssen wir die Bereitschaft mitbringen, ein Stück weit zu Datenanalysten werden.“

So viel Daten wie nötig und so wenig wie möglich

Daten klug zu nutzen und im Vorfeld zu entscheiden, welche Daten man überhaupt braucht und weiterpflegen möchte, sei auch die Voraussetzung für eine sinnvolle Anwendung von Building Information Modeling (BIM). Um Planer und Architekten so beauftragen zu können, dass am Ende das herauskommt, was Krankenhausbetreiber tatsächlich brauchen, müssten Bauherren vorab in der Anwendung von BIM geschult werden. Zumindest sollten ihnen kompetente Projektsteuerer zur Seite stehen, die sie beraten, was sie in ihre Ausschreibungen und Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) schreiben sollen, erklärte Claudia Hanke im Vortrag „Medizintechnikplanung mit BIM“. Sie prognostizierte: „Bis sich bei allen Beteiligten durchgesetzt hat, dass BIM völlig neue Workflows benötigt und sehr viel Struktur, wird noch einige Zeit vergehen. Konsequent angewandt, wird mit BIM jedoch ein koordiniertes Miteinander im Planungsprozess erreicht. Damit können Bauzeiten verkürzt und Ergebnisse optimiert werden.“

Daten intelligent nutzen

20 bis 30 Prozent Energieeinsparung seien allein durch einen bedarfsgesteuerten Betrieb der vorhandenen Anlagen möglich, versprach Dr. Michael Krödel. Der engagierte Professor der TH Rosenheim brach in Gelsenkirchen eine Lanze für eine durchdachte Gebäudeautomation. Die setze voraus, dass sich Techniker im Vorfeld mit der Frage auseinandersetzen, wie sich ein automatisiertes Gebäude verhalten soll. „Rechnen Sie dabei mit der Freiheitsliebe der Gebäudenutzer, sonst holen sich die Menschen die Kontrolle mit sehr kreativen Maßnahmen zurück. Und: Automatisieren Sie nicht um des Automatisierens Willen, sondern dort wo es Sinn macht“, riet Krödel. CO2-Sensoren, die die Lüftungsanlage steuern, Bewegungsmelder, die das Licht abschalten, wenn ein Raum nicht genutzt wird, sowie die Nutzung von Daten wie Belegungszahlen und Wettervorhersagen für einen intelligenten Gebäudebetrieb amortisierten sich in aller Regel sehr schnell.

Energiesparen lohnt sich

Durch die hohen Energiepreise haben sich die Amortisationszeiten von Energieeffizienzmaßnamen generell enorm verkürzt. Die Energiepreisexplosion führe einhergehend mit einer enormen Versorgungsunsicherheit außerdem zu einem Paradigmenwechsel vor allem beim Beheizen von Gesundheitseinrichtungen. Das BHKW – lange Zeit unbestritten effizienteste Methode, um Krankenhäuser mit Strom und Wärme zu versorgen – habe, sofern es mit Erdgas betrieben wird, ausgedient. Energieträger der Zukunft sei Erneuerbare Energie (EE), wie Olaf Kallinich in seiner Energievision für das Gesundheitswesen ausführte. Die lässt sich auf folgende Kernaussagen/-forderungen verdichten: Die Zukunft ist elektrisch (Sektorenkopplung), alle nicht oder nur wenig verschatteten Flächen mit PV belegen, Wärmeerzeugung wird dezentral, schalten Sie das große Netz ab, dann können Sie gebäudeweise sanieren, Heizvorlauftemperaturen senken (eine Deckenheizung leistet hier wertvolle Dienste), Heizung und Warmwassererzeugung mit Wärmepumpe, Dampferzeugung dezentral, Quartierdenken, Wasserstoff wird erst rentabel, wenn EE-Strom im Überfluss vorhanden ist, Sanieren Zug um Zug.

Flächen doppelt nutzen

Um die Energiewende hinzukriegen, müssen Flächen künftig doppelt genutzt werden, prognostizierte Dr. Frank Ensslen vom Fraunhofer ISE in Freiburg. Gerade auch die Gebäudehülle kann und muss hier mit ihrem großen Flächenpotenzial (im Durchschnitt ca. 440 GWp für Fassaden und ca. 560 GWp für Dächer) einen erheblichen Beitrag zur nachhaltigen Bauweise und Dekarbonisierung leisten. Eine bauwerkintegrierte PV-Anlagen (BIPV) in der Fassade sei zwar teurer als eine konventionelle nicht solarisierte, werde die Fassade jedoch ohnehin saniert oder neu erstellt, reduzierten sich die Mehrkosten durch den Einsatz von BIPV deutlich, so Ensslen. Eine Amortisation der Mehrkosten innerhalb von rund zehn Jahren sei dabei mittlerweile möglich. Die energetische Amortisation liege dagegen bei nur ungefähr drei bis vier Jahren. Gewisse Herausforderungen werfe der Einsatz von BIPV bei der Umsetzung bauordnungsrechtlicher Vorgaben auf. Unter anderem der Brandschutz und Anforderungen an Glasstrukturen in der Gebäudehülle müssten für den Entwurf sorgfältig geprüft und im Bau- und Planungsprozess bereits in den frühen Leistungsphasen berücksichtigt werden. Das Fraunhofer ISE bietet eine wissenschaftliche Begleitung und Lösungsfindungen rund um die BIPV an.

Immer komplexere Vorgaben, gerade auch in Sachen Nachhaltigkeit

Dass der rechtliche Rahmen der Technik ein oft sehr enges und immer komplexeres Korsett schnürt, erörterte auch Stefan Krojer am Beispiel des Lieferkettengesetzes: Die Lieferkette eines Produktes muss künftig akribisch und proaktiv durchleuchtet werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Einhaltung der Menschenrechte bei dessen Erzeugung. Krojers Tipp an die Technik: Prüfen Sie, wo Sie direkte Einkaufsentscheidungen treffen und sprechen Sie dazu mit Ihrem Einkauf und Ihrer Rechtsabteilung.

Im Sattel bleiben

Strategien, um trotz aller Widrigkeiten und Schwierigkeiten des technischen Alltags im Sattel zu bleiben und motiviert einen guten Job zu machen, konnte man von den Keyspeakern Guido Fulst und Dr. Janine Strunz lernen. Der ehemalige erfolgreiche Radrennfahrer und die promovierte Sportwissenschaftlerin und seine Ehefrau machten deutlich, wie wichtig es ist, auch im Team seine Individualität zu bewahren, eigene Stärken zu erkennen und entsprechend zu nutzen. Nur in einem erträglichen Maße immer wieder über die eigenen Grenzen hinaus zu gehen, schützt bei alledem vor Erschöpfung.

Maria Thalmayr